„Die zehn Minuten schneller, die ich erreichen kann, lohnen sich“

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WiSo-Wissenschaftler Dr. Hendrik Birkel über den Einsatz von Big Data in der Humanitarian Supply Chain

Bei Logistik denken die meisten wahrscheinlich zunächst an Konsum, an Lastwagen oder Güterzüge, die Waren von A nach B bringen – ob Autos, Schuhe oder Lebensmittel. Aber auch bei Katastrophen kommen logistischer Planung und Ausführung eine tragende Rolle zu. Personal muss zeitnah mit den benötigten Hilfsmitteln vor Ort gebracht werden. Wie Big Data eingesetzt werden kann, um die Humanitarian Supply Chain noch schneller zu machen, untersucht Dr. Hendrik Birkel vom Lehrstuhl für Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management.

Was unterscheidet die kommerzielle Supply Chain von der Humanitarian Supply Chain (HSC)?

Grundsätzlich gibt es ein paar Aspekte, nach denen man die beiden unterscheiden kann, zum Beispiel Strategie, Akteure, Kunde, Zulieferer, etc. Grundsätzlich steht aber bei der Humanitarian Supply Chain die Geschwindigkeit im Vordergrund, wenn die Waren schnellstmöglich zu einem gewissen (abgelegenen) Ort gebracht werden müssen, während es bei der kommerziellen Logistik vor allem der Kostenaspekt in Kombination mit der Geschwindigkeit ist.

Was sind die aktuellen Forschungsfragen bezüglich der HSC?

Ein aktuell sehr spannendes Forschungsfeld ist: Wie kann ich Technologien einsetzen, um die Informationsbeschaffung in Katastrophenfällen zu beschleunigen? Anhand von Satellitenbildern sehe ich zum Beispiel, wenn eine Flut kommt oder ein Erdbeben gewütet hat und was sie zerstört haben. Dann ist die Frage, wie ich mithilfe der Bilder bestimmen kann: Wo baue ich das Lager auf? Wo erreiche ich am schnellsten die meisten Menschen? Wo sind noch Verkehrswege zugänglich? Was ist kaputt? Dafür kann ich verschiedene Daten miteinander kombinieren. Es gibt ganz unterschiedliche Technologien, seien es Satellitendaten, seien es Handydaten, sei es, wenn ich es alles zusammennehme, Big Data, also die Masse an Daten. Die Frage ist, wie man diese Technologien am sinnvollsten einsetzt.

Womit beschäftigen Sie sich?

Wir haben uns Satellitendaten in Kontexten verschiedener Katastrophen angeschaut, da die Aussagekraft der Daten extrem vielseitig ist. Aber sie werden nicht so richtig genutzt, obwohl Satellitendaten heutzutage frei zugänglich sind. Wieso werden sie aber nicht genutzt? Vor allem wegen der komplexen Verarbeitung. Verschiedene Satelliten nehmen unterschiedlicheste Arten von Daten auf. Die einen liefern zum Beispiel ein klassisches Foto, andere nehmen verschiedene Farbtöne auf, die dann durch Algorithmen zu einem Bild zusammengesetzt werden müssen. Das wird dann extrem IT-lastig. Deswegen haben wir uns ungefähr 140 Paper angesehen und versucht, alles auf einen Nenner zu bringen und in einen Business-Kontext zu setzen. So möchten wir vor allem Unternehmen und Organisationen einen Zugang zum Thema ermöglichen, da die Potentiale kaum ausgeschöpft werden. Wir haben uns dabei insbesondere auch auf die Humanitarian Supply Chain konzentriert, weil die Bedeutung dieses Gebietes aufgrund der stetig steigenden Anzahl an Katastrophen weiter zunimmt und es so wichtig ist, in einem Katastrophengebiet sehr schnell Daten zur aktuellen Lage zu haben.

Bei den Satellitendaten ist es wichtig zu wissen, dass bislang nicht alles vollautomatisiert aufbereiten kann. Gerade bei Katastrophenfällen muss schnell gehandelt werden. Dann können verschiedene Bilder übereinandergelegt werden. Wenn zum Beispiel eine Wolke den Blick verschleiert, kann ich das Bild erweitern, indem ich es mit anderen Schichten überlagere. Dadurch habe ich mehr Optionen unterschiedliche Aspekte hervorzuheben, damit das eine besser gezeigt wird als das andere und so weiter. Wenn ich die Bilder dann habe, müssen sie per Hand ausgewertet, weil keine Katastrophe der anderen gleicht und die Auswertung im Team schneller und unkomplizierter ist, als den Algorithmus anzupassen. Das heißt, es geht vor allem um die Datenaufbereitung und -bereitstellung.

Wie sehr könnte die Big Data-Auswertung die Humanitarian Supply Chain beschleunigen?

Die HSC ist bereits sehr effektiv aufgebaut und es gehört sehr viel mehr dazu, als die Auswertung dieser Daten: Das Lager muss aufgebaut werden. Es muss eine Versorgung sichergestellt werden; Leute im Gebiet müssen geschult werden. Nichtsdestotrotz ist die Satellitenauswertung ein ganz, ganz wichtiger Baustein. Denn die Satellitenbilder können einen ersten Überblick über das Geschehen geben dabei helfen, dass die Hilfe immer noch ein bisschen effektiver wird. Nehmen wir beispielsweise eine Flut: Durch die Bilder können wir sehen, ob es wohl noch einmal zu Überschwemmungen kommen wird. Wenn nicht, dann kann ich mein Lager näher an das Katastrophengebiet aufbauen. Dieses Fünkchen, dass man immer noch mehr rausholen kann, das ist das wichtige bei diesen Krisenfällen: Noch die eine Person mehr oder die eine Stunde, oder die zehn Minuten schneller, die ich erreichen kann. Gerade hier lohnt sich der Aufwand, die Satellitendaten auszuwerten einfach.

FAU-Forschungsmagazin friedrich

Dies ist ein Online-Beitrag aus dem Forschungsmagazin friedrich. Die aktuelle Ausgabe nimmt Sie mit auf ganz verschiedene Wege – alltägliche, aber auch ungewöhnliche, auf berühmte Handelsstraßen, auf Entdeckungsreisen, Umwege und Pilgerpfade.

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